In den
letzten Monaten bin ich öfters in Berührung gekommen mit den Begriffen
„hochsensibel“ oder „HSP“. Auf diversen
Eltern-Kind-Blogs sprießen diese Artikel momentan ja wie Unkraut aus dem Boden.
Ehrlich gesagt habe ich dieses Thema bislang immer links liegen lassen. Ich tat
es ab als neumodisches Ding und als Spinnerei, da man allem und jedem immer
neue Namen geben muss.
Letztens
hatte ich im Kindergarten ein Entwicklungsgespräch über unseren Sohn. Mir wurde
erklärt, er sei irgendwie anders, ein Einzelgänger und auch nicht richtig
integriert. Er habe Probleme mit der Abgrenzung und seiner Identität. Auf
Anraten der Erziehrinnen soll ich ihm das Buch „Das kleine Ich bin ich“
vorlesen (was ich auch direkt bestellt habe) und ihn in seinen Stärken
bestärken. Mein Bauchgefühl sagte mir jedoch, irgendetwas ist da noch, ich
konnte es nur nicht beschreiben. Das Gespräch ließ mir lange keine Ruhe. Immer
und immer wieder habe ich die Worte reflektiert und darüber nachgedacht. Unser
Sohn ist eigentlich kein Einzelgänger, im Gegenteil, zuhause sucht er immer
wieder Kontakt zu seinen Geschwistern und Nachbarskindern. Warum also im
Kindergarten? Da fiel mir das Thema HSP wieder ein und ich führte diverse Tests
zur Feststellung einer Hochsensibilität für meinen Sohn durch. Dabei fielen mir
nicht nur die Übereinstimmungen mit meinem Sohn, sondern vor allem mit unserer
großen Tochter auf. Letztendlich jedoch – und das war das Erschreckendste für
mich- musste ich feststellen, dass die meisten Aussagen auch auf mich
zutreffen.
Als ich in
einem Ergebnis folgendes las: „Sie sind mit an Gewissheit
grenzender Sicherheit eine HSP. Je weiter Ihre Punkte-Anzahl über 200 liegt,
umso mehr sollten Sie darauf achten, sich in kein Schneckenhaus zu verkriechen.
Arbeiten Sie daran, Wege und Möglichkeiten zu finden, um in einer Ihnen
angenehmen Weise Kontakt mit der Welt zu halten. Die Welt braucht Sie und Ihre Empfindsamkeit. Sie sind eine
Bereicherung.“
Der letzte Satz brachte den AHA-Effekt und
mich letztendlich auch zum Weinen. Erst da fiel mir auf, wie „anders“ ich mich
als Kind und junge Erwachsene gefühlt habe. Ich ging nie mit auf Popkonzerte, Kirmes
und Parties waren mir immer unangenehm und ausgiebige Gespräche mit vielen
anderen erschöpften mich schnell. Ich brauche Auszeiten und
Rückzugsmöglichkeiten, bevor ich mich wieder unter Menschen begebe. Ich grenze
mich bewusst ab und werde daher von vielen Menschen mit Vorwürfen und
Beleidigungen überhäuft. Ich könnte auch nie alleine reisen, aus Angst vor
Neuem und Unbekanntem. Auslandserfahrungen während des Studiums waren für mich
daher unmöglich. Gesänge und Musik in Kirche und Musikvereinen bringen mich
immer zum Weinen, laute Sirenen der Feuerwehr und Polizei hingegen machen mich
immer leicht panisch. Am meisten beeinträchtigt mich ich jedoch das
unermüdliche und ständige Reflektieren meiner Handlungen gegenüber Dritten. „Mache
ich es richtig? Ist es in Ordnung so? Was wird der andere sagen?“. Mimik und
Gestik des Gegenübers lese ich in Sekundenschnelle ab und erkenne dessen
Gefühlswelt. Ich wage auch zu behaupten, ich habe dadurch eine gute
Menschenkenntnis und weiß wie der ein oder andere Typ „tickt“. Gleichzeitig
jedoch fehlt mir die Fähigkeit der inneren und äußeren Abgrenzung sowie „Nein“
sagen zu können, aus Angst, den anderen zu verletzen oder überrollt zu werden.
Je mehr ich mich mit diesem Thema befasse,
desto mehr fange ich an, einzelne Befindlichkeiten meiner Kinder zu verstehen.
Die Große beispielsweise war als Baby ein
Schreikind. Nichts und niemand konnte sie beruhigen. Einkaufstouren, Besuche
und Kinderwagen waren ein Graus für sie. Nach jedem Pekip-Besuch ein Geschrei
und Geweine. Wenn sie mal endlich eingeschlafen war (meist im Tragetuch) konnte
sie das kleinste Geräusch wecken. Sie fing früh an zu laufen und zu sprechen
und ist heute noch hochkreativ und sprüht vor Ideen. Im Kindergarten hatte sie
eine lange Eingewöhnungszeit, galt als Einzelgänger und nicht integriert und
kam im Grunde erst im allerletzten Kindergartenjahr mit etwa 6 Jahren richtig
an. Ihre Geruchs- Licht- und Lärmempfindlichkeit war immer schon extrem
ausgeprägt. Während sie sich in der Schule immer noch gut unter Kontrolle hat,
explodiert sie zuhause. Sie ist wütend, schimpft und hackt auf ihren
Geschwistern herum. Bei den Hausaufgaben kann sie sich kaum konzentrieren, wenn
jemand neben ihr sitzt und (normale) Geräusche verursacht. Alleine schon das
Ein- und Ausatmen des Gegnübers verursacht bei ihr Wutanfälle. Ihre Kleidung
muss genau passen. Ihre Frisur muss so gelegt sein, dass sie ich gut anfühlt.
Es gilt: je enger je besser. Weit und wabbelig geht garnicht. Daher hat sie
sich schon früh, etwa mit drei Jahren selbst angezogen und mit 6 Jahren selbst
frisiert. Sie ist überaus ehrgeizig und probiert selbst unter Tränen und
Wutanfällen so lange, bis es klappt. Gleichzeitig kann sie sich aber auch
komplett verweigern, wenn sie sich bedrängt fühlt oder von ihren Sinnen
überfordert. Sie ist sehr empathisch und leidet leicht mit anderen Wesen. Sie
projiziert sogar die Gefühlswelt auf ihre Babypuppe und die Kuscheltiere. Wehe,
jemand stützt sich darauf ab oder schmeißt sie etwa auf das Bett.
Ebenso der Kleine: Ebenfalls ein Schreikind.
Pekip und Spielkreis? Unmöglich. Besuche, Einkäufe und Touren nur unter
riesigem anschließendem Geschrei. Die ersten vier Monate habe ich mit meinem
Sohn fast keine Unternehmungen unternommen. Seine Sinne waren in dieser Zeit
schon durch die Anwesenheit seiner Geschwister ausgereizt. Heute noch verträgt
er kaum lautere Geräusche. Vor dem Staubsauger flüchtet er ebenso wie vor der
Küchenmaschine. Geruchs- und Geschmackssinn sind ebenfalls hochsensibel. Schon
sehr früh äußerte er sich mit „Mmhh“ oder „riech mal“ bei Blumen, zartem Parfum
oder Duschgel. Genauso aber reagiert er mit heftigem Brechreiz bei übleren
Gerüchen. Ein Camembert im Kühlschrank reicht da schon. Auch er lernte früh
laufen und sprechen. Er ist sehr mitfühlend und empathisch. Er leidet sehr mit,
wenn andere krank oder traurig sind und stellt oft viele Fragen zu Leben und
Tod sowie Gott. Sein Wissensdurst ist überaus hoch. Er untersucht, forscht und
stellt viele Fragen zu Themen, die mich als Mutter staunen lassen. Gleichzeitig
ist er gegenüber Dritten äußerst zurückhaltend, beobachtet viel und kommt
schwer ins Spiel. Genau wie ich liest er viel in den Mimiken des Gegenübers und
kann sich öffnen oder auch komplett schließen. Bei negativen Schwingungen
reagiert er mit Angst, Anspannung, Rückzug und gefühlter „Kleinheit“ und
Schwäche. Das macht ihn besonders im Kindergarten sehr angreifbar.
Genau wie er und meine große Tochter bin ich
–im Gegensatz zu vielen anderen- nie gerne in den Kindergarten gegangen. Es war
mir immer zu laut, zu viel, kaum Rückzugsmöglichkeiten oder Raum zum
„Luftholen“ und Besinnen. Ich habe mich immer gefragt, warum das so
ist….vielleicht habe ich jetzt die Antwort gefunden.
Danke fürs Zuhören.
Danke fürs Zuhören.